Blaue Plakette statt Totalüberwachung

Interview des rbb zu kameragestützten Diesel-Kontrollen

“Scheuer will eine Totalüberwachung von Autofahrern”

21.03.19 | 06:36 Uhr

Die Bundesregierung will, dass Diesel-Fahrverbote per kameragestützter Kennzeichenerfassung überwacht werden. Doch Grünen-Politiker Benedikt Lux hält das für einen schweren Grundrechtseingriff – und kündigt im rbb|24-Interview Widerstand dagegen an.

rbb|24: Herr Lux, der Bundesrat hat kürzlich ein Gesetz gebilligt, das erlaubt, Fahrverbote mittels mobiler Geräte zu überwachen. Sie erfassen automatisch die Kennzeichen durchfahrender Autos und gleichen sie mit Halterdaten des Kraftfahrtbundesamtes ab. Wer einen Diesel fährt, bekommt automatisch ein Knöllchen. Wäre das eine gute Möglichkeit, in Berlin die Überwachung der Fahrverbote effizienter zu gestalten?

Benedikt Lux: In Berlin würden diese Verbote nur auf 1,4 Kilometern Straßenland in Kraft treten. Ich halte es nicht für notwendig, dort generell alle Autokennzeichen zu erfassen, also auch von Leuten, die überhaupt nicht Diesel fahren. Es wäre sehr viel Aufwand für wenig Ergebnis. Ich stelle mir vor, dass man hier eine blaue Plakette einführen müsste. Das wäre verhältnismäßig, um verbotene Diesel zu kontrollieren.

Verkehrsminister Scheuer lehnt eine blaue Plakette vehement ab. Halten Sie es für besser, erst einmal gar nicht zu kontrollieren, anstatt die Kennzeichen zu erfassen?

Es ist schon erstaunlich, dass hier ein Verkehrsminister den Ländern diktiert, alle Autofahrer generell digital zu überwachen und zu erfassen – nur um auf 1,4 Kilometern Straße die Luftreinhaltung zu überwachen. Das ist ein überbordender Eingriff. Da muss man auch die Länder-Möglichkeiten prüfen, gegen dieses Gesetz vorzugehen. Es wäre viel effektiver hier mit einer blauen Plakette zu kontrollieren. Jetzt muss man sehen, wie die Polizei sich aufstellt.

Ich denke, schwerpunktmäßige Kontrollen – also das Anhalten von Diesel-Fahrzeugen und ein Blick in die Fahrzeugpapiere – muss ja ausreichen. Das ist natürlich aufwändiger für die Polizei – aber das haben wir dem Bundesverkehrsminister zu verdanken, dass er hier eigentlich eine Totalüberwachung von Autofahrern will. Diesen schweren Grundrechtseingriff halte ich für völlig unangebracht.

Erfahrungen aus Hamburg zeigen jedoch, dass schwerpunktmäßige Kontrollen ohne blaue Plakette viele Polizisten benötigen – und trotzdem wenig bringen. Die Stickoxidwerte sind dort ganz wenig gesunken, viel weniger als erwartet. Nehmen Sie nicht in Kauf, dass in Berlin die Grenzwerte auch 2020 gerissen werden, wenn Sie sich gegen kameragestützte Kontrollen stellen?

Es ist ja eine Abwägung, wie stark der Eingriff in die Rechte aller anderen Autofahrerinnen und Autofahrer ist. Diese Kontrollen, müssen Sie sich vorstellen, sind ja auch aufwändig. Dazu braucht es entsprechende Geräte. Das ist alles noch gar nicht berechnet und noch nicht beschafft, das muss die Polizei momentan prüfen. Ich halte es für sehr, sehr schwierig, dass man auf 1,4 Kilometern Straße generell alle Autos erfasst. Da stelle ich mir schon vor, dass Schwerpunktkontrollen besser sind. Natürlich werden sie möglicherweise nicht ganz so effektiv sein, aber wir sehen auch noch nicht die Ergebnisse, dass eine Kontrolle von allen Autofahrern da irgendwie besser wäre. Deswegen ist es eine Abwägung, die wir in den nächsten drei Monaten sorgfältig prüfen werden. Mir wäre es lieber, gezielt einzelne Verstöße feststellen zu können, am liebsten natürlich mit einer blauen Plakette. Das ist ein bewährtes System. Und da sollten wir uns weiterhin für einsetzen mit allen politischen und rechtlichen Möglichkeiten.

Wenn die Grenzwerte auch im Jahr 2020 nicht eingehalten werden, hat die Umwelthilfe schon angekündigt, weitere juristische Schritte zu unternehmen. Sollte Berlin das dann einfach in Kauf nehmen, nochmal vor Gericht zu verlieren?

Meine Prognose ist nicht, dass wir mit einer automatischen Kennzeichenerfassung die Werte ausschlaggebend verbessern können. Zusätzlich ist der Generalüberwachungsfaktor sehr, sehr hoch. Deswegen plädiere ich ganz klar dafür, diese generelle automatische Kfz-Überwachung nicht zu machen, sondern die Polizei mit etwas mehr Aufwand zu Kontrollen zu schicken.Daran zu appellieren, dass dieses Fahrverbot eingehalten wird an diesen bestimmten Streckenabschnitten. Und natürlich haben wir eine Reihe von anderen Maßnahmen, wie Tempo 30 in 30 Straßenzügen, wie die Aufstellung der Parkraumüberwachung, sowie die Umrüstung der Fahrzeugflotte mit Stickoxid-Filtern, von denen wir uns einigen Erfolg versprechen. Und dann wird man sehen: Die Luftreinhaltung ist ein dynamisches wissenschaftliches Gebiet, da kann ich als Politiker nicht jeden Schritt voraussehen.

Der SPD-Umweltpolitiker Daniel Buchholz hat sich bereits für eine kameragestützte Überwachung der Berliner Fahrverbote ausgesprochen – und darauf verwiesen, dass die Lkw-Maut auch auf diese Art und Weise kontrolliert wird – mit Einwilligung deutscher Datenschutzbeauftragter. Steht hier ein Streit in der Koalition an?

Nein, wir werden sachlich die beste Lösung finden. Insbesondere die Polizei muss jetzt mal rechnen, welche Lösung am besten wäre. Wir haben noch drei Monate Zeit. Am besten sollten wir uns volle Pulle für eine blaue Plakette einsetzen. Sie ist Datenschutz-freundlich, technisch machbar und vermeidet den Generaleingriff gegen alle Autofahrerinnen und Autofahrer. Da wünschte ich mir einen gemeinsamen Anlauf der Koalition, das noch zu ermöglichen.

Das Interview führte rbb|24-Redakteur Robin Avram

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